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BELLEVUE NZZ

Das bewegte Leben der Elsa Peretti

Die Italienerin war erst Model, dann wurde sie eine berühmte Schmuckdesignerin. Die Geschichte ihrer legendären Linie für Tiffany & Co. begann vor fünfzig Jahren. Doch es gibt noch viel mehr aus ihrem Leben zu erzählen.

Und auf einmal finden wir uns in einem mittelalterlichen Weiler wieder. Eine gute Stunde sind wir auf der Autobahn von Barcelona ostwärts gefahren – über eine gewundene Landstrasse, vorbei an Feldern und Waldböschungen –, um auf einem Hügel mit einer Ansammlung ineinander verschachtelter Steinhäuser aus dem Auto zu steigen: Sant Martí Vell. Was unsere Truppe aus internationalen Mode- und Luxusredaktoren und -redaktorinnen in diesem rustikalen Örtchen zu suchen hat? Der Grund ist Elsa Peretti, die am 18. März 2021 an diesem abgelegenen Flecken Spaniens verstarb.

Auch drei Jahre später hat ihr Name nicht an Strahlkraft eingebüsst – im Gegenteil, denn klare, skulpturale Schmuckstücke wie die ihren haben Bestand und sind schon seit einer Weile wieder begehrt. Die Tatsache, dass viele ihrer Entwürfe in den 1970er Jahren entstanden sind, macht sie umso ikonischer: Es sind zeitlose, visionäre Kultstücke. Anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der Elsa-Peretti-Linie präsentiert Tiffany & Co. Mitte Juni in Sant Martí Vell neue Fingerringversionen der organisch geformten Armspangen «Bone Cuff» und «Split Cuff». Vor allem aber erhalten wir einen seltenen Einblick in die private Welt der Designikone.

Ein Freigeist von Kindsbeinen auf 1968 verliebte sich die 28-jährige Peretti hier in ein verfallenes Häuschen, kaufte es einem Bauern ab und renovierte es peu à peu. Ein Freigeist schien sie schon von Kindsbeinen auf zu sein, stibitzte etwa hoch fasziniert Knochensouvenirs aus der Kapuzinergruft in Rom – um sie dann später wieder retournieren zu müssen. Mit 21 deklarierte Elsa dann in einem selbstbewussten Brief an ihren «caro papà» ihre Unabhängigkeit vom konservativen, wohlbegüterten Elternhaus in Rom – damals ein kühner Schritt für eine junge Frau.

Nach dem Innenarchitekturstudium zog sie Mitte der 1960er Jahre nach Barcelona, schloss sich hier den Intellektuellen und Künstlern der liberalen Bewegung «Gauche divine» an. Damals machte Peretti ihre ersten Schritte als Designerin. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, modelte sie für Fotografen und Künstler, auch für Salvador Dalí – prägende Verbindungen, die zu lebenslangen Freundschaften wurden. Im Atelier des Bildhauers Xavier Corberó schuf sie Ende der 1960er Jahre erste ­Silberschmuck-Prototypen.

Auf Empfehlung der Modelagentur Wilhelmina kam Peretti dann 1968 nach New York. In der Metropole fasste sie Fuss, als Model, Muse und Vertraute von namhaften Modeschöpfern wie Charles James, Giorgio di Sant’ Angelo oder Halston, und startete 1969 mit Entwürfen wie dem «Bottle»-Kettenanhänger oder dem hufeisenförmigen «Equestrian»-Belt als Schmuckdesignerin durch. 1974 kam dann der Vertrag mit Tiffany & Co. zustande.

Als Sensation galt, dass es zum ersten Mal seit fünfundzwanzig Jahren Tiffany-Schmuck nicht aus Gold, sondern aus weniger prestigeträchtigem Silber gab – ein Erfolg, nicht nur der radikalen Materialwahl, sondern auch der Designs wegen: sinnlich und unkompliziert mit organischen Formen. Etwa der Anhänger «Open Heart», inspiriert vom Zwischenraum einer Henry-Moore-Skulptur.

Perettis Designethos war stets: «Eine gute Linie und eine gute Form sind zeitlos.» Aber auch, dass Schmuck keine Zweifel zulässt, denn laut ihr ist «er eine Aussage, eine Erklärung. Aber niemals eine Frage.» Ein Volltreffer waren auch die «Diamonds by the Yard»-Ketten, mit kleinen, in Silberlünetten eingefassten Diamanten, quasi wie Meterware an feinen Kettchen. Die günstigste Version kostete damals 89 Dollar, und so leisteten sich Frauen erstmals ihre «Diamonds» selbst. Und statt als fette Klunker zur Abendrobe trugen sie nun die Edelsteine als feine Preziosen im Alltag.

Vorbild für die stilvolle, befreite und berufstätige Frau der 1970er Jahre
1977 widmete die Zeitschrift «Newsweek» Elsa Peretti und ihren Entwürfen eine Titelgeschichte: «Der erdrutschartige Erfolg dieser unglaublichen Stücke hat die revolutionärsten Veränderungen im seriösen Schmuck seit der Renaissance ausgelöst.» Peretti wurde zum Vorbild für die stilvolle, befreite und berufstätige Frau der 1970er Jahre, lebte aber auch den hedonistischen Lebensstil dieser Ära in vollen Zügen, so etwa im kokaingeschwängerten Nachtleben im Studio 54.

All die Jahre diente ihr das verlassene Dörfchen in Katalonien, in dem wir uns nun befinden, stets als Refugium: ein Ort zum Auftanken, ein Gegenpol zum pulsierenden New York oder zu den Fernreisen zu exotischen Destinationen wie Jaipur, China oder Afrika. Bis zu ihrem Tod blieb sie dem Ort treu, liess die Dorfkirche renovieren, erwarb ein eigenes Weingut sowie Grundstücke im Umkreis, um das katalanische Ökosystem zu erhalten.

Sant Martí Vell war Perettis Zuhause. Zur ersten «casa pequeña» kamen über die Jahre hinweg weitere Gebäude hinzu, die sie alle sanieren liess und mit handverlesenen Objekten von Künstlern, Designern, Fotografen, aber auch mit urchigen Bauernmöbeln sowie Fundstücken aus der Natur und von ihren Reisen in einem ureigenen, äusserst eklektischen Stilmix einrichtete.

Bei unserer Tour durch die ehemaligen Bauernhäuser, Scheunen und Ställe, die teilweise miteinander verbunden sind, entdecken wir eine bisher wenig bekannte Seite von Elsa Peretti: Sie war eine leidenschaftliche Sammlerin, die aber, statt chaotisch zu horten, ihre «Private Collection» systematisch, fast minuziös kuratierte: Zwischen groben Holzbalken und Terrakottaböden hängt im Zusammenspiel mit ordentlich sortierten Bücher- und Magazinstapeln sowie ihren geliebten Pinnwänden voller Ideen, Inspirationen und Erinnerungen mal eine riesige Maske aus Afrika, mal die Hahnenkampf-Serie von Perettis langjährigem Fotografenfreund Hiro. Nebst Schmuckprototypen stehen nonchalant Tierschädel neben lokalen Flechtkörben, dazu Fotografien und Gemälde von ihren Freunden Andy Warhol und dem Katalanen Robert Llimós.

Eine gute Designerin zu sein, ist für mich die einfachste Sache der Welt. Aber ein guter Mensch zu sein, das wird schwer. Ich würde es aber gerne versuchen. – Elsa Peretti

Perettis Häuser waren ihre «Private Collection»: ein lebendiger Organismus, den sie ständig umstellte und sorgsam kuratierte. Stets von neuem habe sie ihre Kostbarkeiten arrangiert, gibt uns eine Aufsichtsangestellte bei unserem Besuch preis – es sei ihre Passion gewesen. Fotografieren wie auch der Zutritt für Unbefugte ist aber strikte verboten. Immer wieder stösst man auf Vogelkäfige und gar auf einen Vogelschrein. Peretti hielt mehrere Vögel, aber auch Zikaden, so, wie sie es sich bei Chinareisen von Einheimischen abgeschaut hat. Eine Hundepfote zeugt auch von den vielen Hunden in ihrem Leben, die sie alle auf dem eigenen kleinen Hundefriedhof beerdigte.

Auch einen Esel hielt sie, angeblich nach Mussolinis Vornamen «Benito» getauft. Das bestätigt, dass diese Frau auf charismatische Weise exzentrisch war. Kräftig war die rauchige Stimme und fast keck ihre anregende Art zu sprechen, wie Interviews, die man auf Youtube findet, zeigen. Wie denn Elsa Peretti als Person gewesen sei, fragen wir beim Besuch in Sant Martí Vell. Im Grunde sei sie eine sehr scheue, aber auch eine äusserst empathische, warmherzige und treue Person gewesen. Sie habe sich stets nach dem Wohlbefinden der Familienangehörigen ihrer Mitarbeiter erkundigt – und auch all ihre Namen gewusst, verrät uns ihre langjährige Assistentin, den Tränen nahe.

Pläne, die privaten Gemächer einmal der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, gibt es nicht. Schliesslich mochte Peretti den Kult um ihre Person nur begrenzt. In einem Artikel von 2014 beklagte sie sich etwa: «Das Dorf entwickelt sich zu einem kleinen Albtraum! Die Leute kommen und spähen durch die Fenster.» Zudem wäre in den engen, mäandernden Gängen und Räumen im Hanggelände die Umsetzung der Auflagen für einen Museumsbetrieb, wie etwa Rollstuhlzugänglichkeit und Sicherheitsvorschriften, zu aufwendig, so Stefano Palumbo von der Nando and Elsa Peretti Foundation.

Die im Jahre 2000 mit dem stattlichen Erbe ihres Vaters Nando gegründete Stiftung – mit Sitz in Vaduz und der Elsa Peretti Holding AG mit Sitz in Zug als Inhaberin – ist Perettis Lebenswerk. Die Stiftung verwaltet nicht nur Perettis Landgüter in Sant Martí Vell, sondern auch ihren Design-Nachlass.

Entwürfe dürfen nicht verändert werden, allfällige Weiterentwicklungen, etwa neue Materialien oder Verzierungen aus Edelsteinen, müssen genehmigt werden. Hauptanliegen der Organisation sind aber vor allem gemeinnützige Projekte: Über 1200 in 83 Ländern wurden bereits unterstützt – mit über 75 Millionen Euro. In einem Interview sagte Elsa Peretti einmal: «Eine gute Designerin zu sein, ist für mich die einfachste Sache der Welt. Aber ein guter Mensch zu sein, das wird schwer. Ich würde es aber gerne versuchen.»

©All rights reserved Hilda Moray

Kim Dang
September 3, 2024